Die Wirtschaft krankt am Krankenstand

Cannabis

Es ist Meeting und keiner geht hin… – Bildquelle: Fotolia

Mit Wirtschaftswachstum war 2023 nichts – im Gegenteil, die deutsche Wirtschaft schrumpfte um 0,3 Prozent. Das klingt nach wenig, bedeutet aber in der Realität genau das, was das böse Wort Rezession meint. Gründe für den Rückgang der Wirtschaft gibt es eine Menge: Der russische Angriffskrieg in der Ukraine, die Nachwehen von Corona, die Energiekrise. Doch nun sorgt eine Studie für Aufsehen, die einen ganz anderen Grund für die Rezession ausgemacht hat. Laut des Verbandes der forschenden Pharmaunternehmen (VFA) ist es der hohe Krankenstand, der die deutsche Wirtschaft ins Minus getrieben hat. Mit einem durchschnittlichen Krankenstand von 5,73 Prozent haben noch nie so viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ihrem Arbeitsplatz gefehlt, wie im abgelaufenen Jahr. Man muss schon fast 30 Jahre zurückblättern, um überhaupt einen Krankenstand von mehr als 5 Prozent in der Statistik zu entdecken. Das war 1995 mit 5,07 Prozent.

Wirtschaftswachstum mit mehr Gesunden?

Die Rechnung, die der VFA in seiner Studie aufmacht, klingt spannend. Demnach hätte es sogar ein Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent gegeben, wenn der Krankenstand nicht so markant hoch gewesen wäre. Zwei der größten Krankenkassen in Deutschland, die Technikerkrankenkasse (TK) und die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) untermauern das mit eindrucksvollen Zahlen. Danach habe im Schnitt jeder Beschäftigte einen knappen Monat im Krankenstand verbracht, nämlich rund 20 Arbeitstage. Die Rheinische Post hatte als erste über die noch nicht veröffentlichte Studie geschrieben. Doch das Echo ist groß und erste Zweifel werden laut.

 

Studie nur eine Zahlenspielerei?

Anne-Catherine Beck von der ARD spricht zumindest von einer „steilen These“. Sie verweist darauf, dass es auch viele andere Faktoren gab, die das Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr gedrückt haben. Zudem wird bisher auch die Bezugsgröße nicht richtig klar. Schließlich ist die Frage, von welchem Sockel die Autoren der Studie, Claus Michelsen und Simon Junker, ausgehen. Zwischen 2003 und 2015 bewegte sich der Krankenstand in Deutschland stets zwischen drei und vier Prozent. Erst 2016 stieg er wieder über vier Prozent und dann langsam, aber stetig an, ehe er 2022 auf dem Höhepunkt der Corona-Krise förmlich explodierte. Doch selbst gegenüber 2022 ist die Zahl der Krankschreibungen im vergangenen Jahr noch einmal gewachsen.

Krankenstand geht ins Geld

Laut der Studie sind 26 Milliarden Euro durch die Fehltage weniger erwirtschaftet worden. Doch das ist noch nicht alles. Auch in die Kassen der Krankenversicherungen hat das ein milliardengroßes Loch gerissen. Schließlich fehlen auch in den Steuerkassen rund 15 Milliarden Euro. Sollten sich die Zahlen in den nächsten Jahren auf diesem Niveau einpendeln, entspräche das einem Verlust von rund 350.000 Arbeitskräften, heißt es laut ARD in der Studie weiter.

Erkältungskrankheiten auf Platz eins

Wenig überraschend lagen in den letzten beiden Jahren die Erkältungskrankheiten auf Platz eins bei den Krankschreibungen. Allerdings gilt es auch zu bedenken, dass die Corona-Krise viele Selbstverständlichkeiten hinweggefegt hat. Ein Kratzen im Hals, ein Husten oder leichter Schnupfen war vor der Corona-Krise für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kein Grund, dem Arbeitsplatz fernzubleiben. Doch die Sensibilisierung dafür, dass man selbst ja auch Kollegen anstecken und damit in den Krankenstand befördern könnte, ist inzwischen deutlich gewachsen.
 Doch schon auf dem zweiten Rang rangieren mentale Gründe für Krankschreibungen. Das wiederum ist ein deutliches Alarmsignal. Auch wenn Betriebsärztinnen und Betriebsärzte seit Jahren Krankheitsbildern wie Depression, Burn-Out oder Angststörungen mehr Aufmerksamkeit widmen, so scheint das noch nicht genug. Laut DAK kommen auf 100 Versicherte 323 Krankheitstage wegen psychischer Erkrankungen.

Hoher Krankenstand in der Metallindustrie

Mit 6,8 Prozent Fehltagen führt die Metallindustrie die Statistik an. Insgesamt gehen 70 Prozent aller Krankschreibungen auf das Konto der Groß- und Schwerindustrie, auf Metallverarbeitung, Elektro-, Chemie- und Pharmaindustrie zurück. Entsprechende Forderungen nach weiteren Präventionsmaßnahmen und verbesserten Arbeitsbedingungen wurden bereits gestellt.

Momentaufnahme oder Dauerzustand?

Vielleicht sind es aber nicht nur Erkältungskrankheiten oder psychische Erkrankungen, die den hohen Krankenstand erklären. In den letzten Monaten gab es auch noch andere erstaunliche Untersuchungsergebnisse. Da ist zum einen das Phänomen des Big Quits. Im Zuge der Corona-Krise haben viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gekündigt, viele, weil sie einen besseren Job gefunden haben, andere, um sich einfach eine Auszeit zu nehmen. Das war zwar ein europaweites Phänomen, bei dem aber Deutschland die Statistik deutlich anführte. Viel wurde in den letzten Monaten auch über die Generation Z diskutiert, bei der sich eine grundsätzlich andere Einstellung zur Arbeitswelt abzeichnet. Schließlich herrscht auch in vielen Branchen inzwischen ein eklatanter Arbeitskräftemangel. Die Angst mancher Beschäftigten, aufgrund von Krankheit den Arbeitsplatz zu verlieren, ist dadurch ebenfalls gesunken. Das alles sind Faktoren, die darauf hindeuten, dass es sich bei den nun bekannt gewordenen Zahlen nicht um eine Momentaufnahme handelt, sondern, dass sie zu einem Dauerzustand werden könnten.

Peter S. Kaspar