Alles halb so schlimm
Das Hinweisgeberschutz-Gesetz gilt seit einem Jahr auch für kleinere Unternehmen. Die Skepsis war groß und die Gegenargumente klangen bekannt: Bürokratiemonster, schlecht für die Wirtschaft, gefesseltes Unternehmertum. Als die EU 2019 die Whistleblower-Richtlinie auf den Weg brachte, begannen die üblichen Beschimpfungen auf die Eurokraten, die, weitab von der realen Welt im fernen Brüssel, irgendwelche weltfremden Beschlüsse fassten, die nur den Effekt hätten, die hart arbeitenden Unternehmer in Europa zu schikanieren. Mit einiger Verspätung wurde schließlich in Deutschland das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) verabschiedet. Seine erste Stufe trat am 2. Juli 2023 in Kraft, am 17. Dezember 2023 endete dann auch für kleinere Unternehmen ab 50 Mitarbeitenden die Übergangsfrist. Seither müssen sich fast 100.000 Betriebe, Behörden und Verbände an die Maßgaben des Hinweisgeberschutzgesetzes halten. Das überraschende Fazit nach knapp einem Jahr: Der Weltuntergang hat nicht stattgefunden – zumindest nicht wegen des HinSchGs.
Kein Fest der Denunzianten
Eine der größten Befürchtungen bei Vertreter:innen der Wirtschaft war, dass nun eine riesige Welle von Denunziationen, falschen Verdächtigungen und kleinlichen Anschuldigungen über die Unternehmen hereinbrechen würde. Genau das ist jedoch nicht passiert. Bei einem ersten Zwischenfazit in 2023 waren bei der externen Meldestellen des Bundes 410 Hinweisgeber-Meldungen eingegangen. Das sieht nicht gerade nach einem Querulanten-Tsunami oder einem großen Volksfest für Denunzianten aus. Doch wie sieht es bei den internen Meldestellen aus? Darüber gibt es naturgemäß nur wenige belastbare Aussagen. Doch es ist auffällig, dass die kritischen Stimmen aus den Reihen der Wirtschaft offenbar fast verstummt sind. Im Gegenteil, immer wieder gibt es Aussagen von Unternehmen, dass das Whistleblowergesetz ein wichtiger Schritt zu einer besseren Unternehmenskultur war. In größeren Unternehmen wurden zum Teil schwerwiegende Fälle von Korruption aufgedeckt. Doch auch Mobbing und sexuelle Belästigungen kommen immer häufiger ans Tageslicht. Für Opfer ist es viel leichter geworden, jene Hemmschwelle zu überwinden, die sie bislang daran hinderten, ihre Peiniger zu benennen.
Das Fass hat einen Boden
Eine weitere düstere Prophezeiung hat sich nicht erfüllt. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hatte schon 2022 vorgerechnet, dass die Umsetzung des Hinweisgeberschutzgesetzes die deutschen Unternehmen 500 Millionen Euro kosten werde. Wer den hohen Aufwand für eine eigens geschaffene Infrastruktur, mit der den Anforderungen des Hinweisgeberschutzgesetzes Rechnung getragen wird, scheut, der findet auf dem Markt eine Anzahl von kompetenten Anbietern, die als externe Dienstleister diese Infrastruktur bereitstellen. Die Vergabe an einen Dritten hat den unschätzbaren Vorteil, dass sich Whistleblower an eine Stelle außerhalb des Unternehmens wenden können, was sich positiv auf das Vertrauen auswirkt. Die Vergabe an einen Dritten vereint somit die Vorteile einer internen mit der einer externen Meldestelle.
Dass nicht mehr über die angeblich so hohen Kosten gesprochen wird, mag zwei Gründe haben. Einerseits sind sie offenbar bei weitem nicht so hoch, wie befürchtet, zum anderen haben etliche Unternehmen festgestellt, dass eine genaue Umsetzung des HinSchG sich am Ende sogar als profitable Angelegenheit entpuppen kann. Viele Hinweise haben nämlich schon Praktiken aufgedeckt, die unter dem Strich sehr kostspielig für Unternehmen waren, und erst nach Hinweisen von Whistleblowern aufgedeckt und beendet werden konnten. Die Kritiker, die im Zusammenhang mit diesem Gesetz von einem „Fass ohne Boden“ sprachen, müssen heute verblüfft feststellen, dass das Fass nicht nur einen Boden hat, sondern dass es sich in manchen Unternehmen inzwischen wieder ganz gut füllt.
Was das Gesetz sonst noch verändert hat
Ein wesentlicher Grund für die Whistleblower-Richtlinie war die Hoffnung, internationalen Terrorismus und Geldwäsche einzudämmen. Wie effektiv das Gesetz in dieser Hinsicht ist, wird sich erst noch zeigen müssen. Aber ein anderer Effekt ist eingetreten, den die Macher des Gesetzes vermutlich so gar nicht auf dem Schirm hatten: Das HinSchG hat in zahlreichen Unternehmen einen Akt des Selbstreflexion ausgelöst. Selbstverständlichkeiten werden hinterfragt, alt eingefahrene Mechanismen kommen auf den Prüfstand. So werden durch ein ungeliebtes Gesetz plötzlich Ressourcen entdeckt, von denen kaum einer ahnte, dass es sie überhaupt gibt.
Peter S. Kaspar
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