Telemedizin – wenn der Betriebsmediziner am Bildschirm behandelt
Lange Wege und Wartezeiten in den Praxen, Ärztemangel in den strukturarmen ländlichen Gebieten, überlastete Notaufnahmen in den Städten: Laut einer repräsentativen Umfrage der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2016 wünschen sich immer mehr Menschen eine medizinische Fernbehandlung per Telefon und Videochat. In anderen europäischen Ländern wie der Schweiz und Dänemark sind Online-Sprechstunden und Telemedizin bereits fester Bestandteil der gesundheitlichen Versorgung. In Deutschland werden die gesetzlichen Rahmenbedingungen für den Online-Betriebsmediziner noch kontrovers diskutiert, doch ist eine bundesweite Lockerung des Fernbehandlungsverbots bereits in Gange.
Pilotprojekte ebnen den Weg Richtung Digitalisierung
Bereits jetzt informieren sich jedes Jahr etwa 40 Millionen Deutsche im Internet über medizinische Fragen, darunter ein hoher Prozentsatz an chronisch und akut erkrankten Menschen. Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) hat daher ein bundesweit einmaliges Pilotprojekt zur Telemedizin durchgeführt. Bei diesem zukunftsweisenden Modellversuch „Docdirekt“ konnten sich im April dieses Jahres gesetzlich Versicherte in den Testgebieten Großraum Stuttgart und Landkreis Tuttlingen online beraten und behandeln lassen. Für die Ausstellung von Rezepten fehlen aber noch die gesetzlichen Voraussetzungen: in der bestehenden Berufsordnung der Bundesärztekammer (§7 Absatz 4, MBO-Ä) ist dies noch nicht vorgesehen. Mit den durchgeführten Modellprojekten soll aber geprüft werden, ob diese Bestimmung gelockert werden kann. Beim 120. Deutschen Ärztetag in Freiburg begrüßten die Delegierten grundsätzlich eine moderne teleärztliche Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Sie forderten, digitalisierte Versorgungsangebote in die Regelversorgung zu überführen und die Telematik Infrastruktur zu verbessern. Immer mehr Krankenkassen bieten ihren Versicherten inzwischen den Service einer medizinischen Hotline an. Laut der Bertelsmann Stiftung wünscht sich fast jeder zweite Deutsche ein solches Beratungsangebot. Auch in Hinblick auf steigende Kosten im Gesundheitswesen wird die Bedeutung des Betriebsarztes als Teledoktor immer wichtiger. Darüber hinaus profitieren in der Arbeitsmedizin Kunden, Mitarbeiter und Betriebsärzte von den neuen Möglichkeiten der Beratung und Befundung, etwa um das Ergebnis der Vorsorgeuntersuchungen zu besprechen.
Online Sprechstunde – einige Bundesländer sind Vorreiter der Telemedizin
Ein gut geregeltes deutsches Fernbehandlungsangebot wird immer wichtiger. Der Online-Betriebsarzt kann durch seine Erstdiagnose und gezielte Lenkung des Patienten unnötige Praxisbesuche reduzieren helfen und die Notfallaufnahmestellen entlasten. Auch hat ein Patient grundsätzlich das Recht, Arzt und Krankenhaus frei zu wählen und eine zweite Meinung beispielsweise über Beratungsstellen oder Teledoktor einzuholen. Vorreiter für die zukunftsweisende telemedizinische Behandlung durch Betriebsmediziner sind einzelne Bundesländer wie Bremen und Sachsen. So haben die Delegierten des 28. Sächsischen Ärztetages den Weg frei gemacht für eine alleinige Fernbehandlung und eine entsprechende Änderung der Berufsordnung beschlossen. Wenn diese voraussichtlich zum 1. September 2018 in Kraft tritt, können Betriebsärzte in Sachsen dann in eigener Verantwortung ihre Patienten über digitale Anwendungen behandeln, jedoch ohne Rezepte auszustellen. Hierfür muss der Gesetzgeber noch nachziehen.
Autor: Karl-Hermann Leukert