Aktuelle Urteile aus der Medizin
Krankenversicherung: Multiple Sklerose-Patienten sollen durch “Fußheber” flexibler werden
Die gesetzlichen Krankenkassen sind verpflichtet, ihren Versicherten, die an fortschreitender multipler Sklerose leiden, “ein technisch aufwändiges Fußhebesystem” zu finanzieren. Dadurch werden kleine elektrische Impulse an den Wadenbeinnerv gesendet, womit der vordere Schienbeinmuskel stimuliert wird. Damit soll ihre Behinderung zum Teil ausgeglichen und die Gehfähigkeit und Mobilität verbessert werden. (LSG Baden-Württemberg, L 4 KR 531/17 u. a.)
Pflegeversicherung: Auch bei vorzeitigem Auszug muss das Heim taggenau abrechnen
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass gesetzlich pflegeversicherte Pflegebedürftige, die in einem Pflegeheim wohnen, bei einem vorzeitigen Aus- beziehungsweise Umzug aus dem Heim, die Heimkosten nur taggenau bezahlen müssen. Das gelte auch dann, wenn der Heim- und Betreuungsvertrag erst zum Monatsen-de gekündigt werden musste, weil für Bezieher von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung eine taggenaue Abrechnung vorgesehen ist. Hier hatte ein an Multipler Sklerose erkrankter Mann kurzfristig einen Platz in einem auf diese Krankheit spezialisierten Heim gefunden und ist Mitte des Monats ausgezogen. Der Betreiber des Heimes bestand auf Bezahlung des vollen Monats. Zu Unrecht. Denn das Gesetz schreibe vor, dass die Zahlungspflicht der Heimbewohner oder anderer Kostenträger mit dem Tag ende, “an dem der Heimbewohner aus dem Heim entlassen wird oder verstirbt”. Mit der taggenauen Vergütung werden die Heimbetreiber nicht benachteiligt, weil deren Risiko „im Rahmen der Auslastungskalkulation sowie durch gesonderte Wagnis- und Risikozuschläge in die Pflegesätze eingerechnet und anschließend anteilig auf die Heimbewohner umgelegt” werden. (BGH, III ZR 292/17)
Krankenversicherung: Nicht über den “Auslandsweg” Genehmigungsfiktion ergaunern
Kann eine gesetzliche Krankenkasse einen Antrag nicht innerhalb von drei Wochenrechtzeitig bearbeiten+, so gilt dieser als genehmigt. Eine Frau, die wegen Fettablagerungen in Armen und Beinen einen Antrag bereits abgelehnt bekommen hat, kann nicht nach Ankunft am Urlaubsort in England über das Konsulat wirksam einen zweiten Antrag an die Krankenkasse stellen und später vor Gericht im Rahmen eines Eilantrags wegen der „beängstigenden Fortentwicklung“ des Erkrankungsbildes die Bezahlung der Fettabsaugung einklagen. Der Weg der „Genehmigungsfiktion“ könne in einem solchen Fall nicht eingeschlagen werden. Das sei schon deswegen nicht möglich, weil die Versicherte hier von der Antragsabgabe beim Konsulat an die Frist berechnete. Außerdem bestünde kein Eilbedürfnis. (LSG Niedersachsen-Bremen, L 16 KR 362/18 B ER)
Private Krankenversicherung: “Kinderwünsche” sollen sich nur noch “43/50” verwirklichen
Die privaten Krankenversicherungen sind berechtigt, die Leistungsposition “künstliche Befruchtung” mit der Bedingung zu verknüpfen, dass die Frau nicht älter sein dürfe als einen Tag unter 43 Jahre, der Mann noch nicht 50 Jahre. Diese Klausel in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen zum Thema “Kinderwunschbehandlung” ist wirksam. Sie ist weder “intransparent” noch schränkt sie wesentliche Rechte aus dem Versicherungsvertrag so ein, dass die “Erreichung des Vertragszwecks gefährdet” sei. (LG Köln, 23 O 313/16)
Berufsrecht: So schnell kann Apotheken-Betriebserlaubnis flöten gehen…
Setzt ein Apotheker Manipulationssoftware ein, versäumt er es, Kapitalerträge aus Vermögensanlagen steuerlich zu deklarieren und gibt er “bewusst falsche Steuererklärungen” ab, so darf ihm die Betriebserlaubnis entzogen werden. Dagegen kann er nicht mit dem Argument angehen, damit werde gegen die grundgesetzlich verankerte Berufswahlfreiheit verstoßen. Der Mann habe allein durch Steuerhinterziehung 238.000 Euro beiseite geschafft. Vor dem Hintergrund der “überragenden Bedeutung einer ordnungsgemäßen Gesundheitsfürsorge durch zuverlässige Personen” sei dies verhältnismäßig. Auch habe er keine Selbstanzeige erstattet, sondern sich erst dem Druck des bereits laufenden Strafverfahrens gebeugt und sich erst während einer Betriebsprüfung zu seinen Verfehlungen geäußert. (VwG Aachen, 7 K 5905/17)
Kündigung: Ein Chefarzt darf auch als Katholik zweimal heiraten
Die Kündigung eines Chefarztes einer katholischen Klinik wegen einer Wiederheirat kann eine verbotene Diskriminierung darstellen. Zwar könne die Kirche grundsätzlich als Arbeitsgeber an ihre leitenden Angestellten unterschiedliche Anforderungen stellen – auch je nach Konfession. Aber nationale Gerichte müssten im Einzelfall prüfen, ob die Religion mit Blick auf die Tätigkeit eine wesentliche Anforderung sei, so der Eu-ropäische Gerichtshof. Stellt sich heraus, dass in dem Krankenhaus vergleichbare Stellen nicht-katholi¬schen Angestellten anvertraut worden sind, so werde der Mann wegen seiner Konfession diskriminiert, wenn er aufgrund seiner zweiten Ehe den Job verliert. In dem Fall hatte sich der Chefarzt von seiner ihm katholisch angetrauten Frau scheiden – die Ehe aber nicht annullieren lassen. Deswegen war die zweite – lediglich stan-desamtliche – Ehe nach Kirchenrecht ungültig; und für die Klinikleitung ein Kündigungsgrund. Er habe in er-heblicher Weise gegen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis verstoßen, weil das Lebenszeugnis leitender Mitarbeiter der Klinik der katholischen Glaubens- und Sittenlehre entsprechen müsse. Der EuGH sah das anders. (EuGH, C 68/17)
Krankenversicherung: Fiktive Genehmigung gilt auch für die Türkei
Lehnt eine gesetzliche Krankenkasse einen Leistungsantrag verspätet ab (hier in der Regel nach Ablauf von 3 Wochen), so darf sich der Versicherte die Behandlung selbst beschaffen und die Kosten dafür später von der Kasse erstattet verlangen. Das gelte auch dann, wenn sich die Patientin oder der Patient im Ausland operieren lassen. Hier ging es um einen jungen Mann, der nach einer massiven Gewichtsabnahme Hautstraffungsopera-tionen von seiner Kasse bezahlt verlangte. Die Kasse entschied zu spät. Der Mann ließ den Eingriff in einer Klinik in Istanbul vornehmen (zu einem deutlich günstigeren Preis als in der Bundesrepublik). Die Kasse musste ihm die Kosten dafür erstatten (hier waren es 4.200 €). Das Gericht: Kassen haben drei Wochen Zeit, einen Leistungsantrag zu bearbeiten (mit Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen sind es 5 Wochen). Wird dagegen verstoßen – wie hier – so gilt der Antrag als „fiktiv genehmigt“. Das Argument der Kasse, die Kosten nur dann tragen zu müssen, wenn die Operation in einem von den gesetzlichen Krankenkassen zugelassenen Krankenhaus durchgeführt worden ist, zog nicht. (BSG, B 1 KR 1/18 R)
Krankenversicherung: Ein Bestrahlungsgerät könnte mehr schaden als helfen
Die gesetzlichen Krankenkassen sind nicht verpflichtet, einem Versicherten, der unter einer schweren Schuppenflechte leidet, ein Bestrahlungsgerät für die eigene Wohnung zu finanzieren. Ein solches Gerät hatte ein Mann beantragt, der seine häufigen Besuche beim Arzt, wo er regelmäßig bestrahlt wurde, mit seinen beruflichen Pflichten zu koordinieren. Das Sozialgericht Stuttgart bestätigte die Ablehnung seiner Krankenkasse, weil es Sache des Versicherten sei, seine Zeit im Beruf mit der der Besuche beim Arzt in Einklang zu bringen. Medizinisch brächte ein solches “Heimgerät” keine Vorteile – und nur darauf käme es an. Außerdem könne eine solche Behandlung in den eigenen vier Wänden mit Gesundheitsrisiken verbunden sein. Dies in Form von Sonnenbrand und vorzeitiger Hautalterung bis hin zu Krebs. Besser sei eine kontrollierte Behandlung in der Praxis des Arztes. (SG Stuttgart, S 19 KR 1504/17)
Krankenversicherung: Multiple Sklerose ist unheilbar und auf Wunder darf nur gehofft werden
Gesetzlich Krankenversicherte, die an der unheilbaren Krankheit Multiple Sklerose leiden und bei denen die zuletzt verwendeten Medikamente nicht die erhoffte Linderung brachten, haben nicht unbedingt Anspruch auf die Übernahme von Kosten für sehr teure intravenös zu verabreichende Antikörper (so genannte Immunglobuline). Dies dann nicht, wenn die “Möglichkeiten einer üblichen Therapie noch nicht ausgeschöpft sind und die Versorgung mit Immunglobulinen nicht für die Behandlung von Multipler Sklerose zugelassen und deshalb nur in ganz besonderen Fällen überhaupt für Rechnung der Krankenkassen eingesetzt werden” dürften. (SG Stuttgart, S 23 KR 319/15)
Arbeitsrecht: Wenn der Arzt nicht bereit ist, einen “genehmen” Termin einzuräumen…
Soll ein Arbeitnehmer zum Arzt (hier wegen einer Nachuntersuchung nach einer Knieoperation), hält der aber keine Sprechstunden vor, die zur Arbeitszeit des Arbeitnehmers passen, so darf der Arbeitgeber dem Mitarbeiter (der auf Stundenlohn-Basis bei ihm beschäftigt ist) die für den Termin aufgewandte (Arbeit-)Zeit nicht vom Lohn abziehen, wenn der Arzt nicht bereit ist, den Patienten außerhalb der normalen Sprechstunden zu behandeln. Dann handelt es sich um eine “unverschuldete Arbeitsversäumnis”. (LAG Niedersachsen, 7 Sa 256/17)