Wenn der Wandel krank macht
Neue Techniken, neue Prozesse, neue Abläufe – viele Branchen befinden sich in einem rasanten Wandel, der nicht nur an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer völlig neue Ansprüche stellt. So muss sich zum Beispiel die Arbeitsmedizin mit neuen Problemen auseinandersetzen. Lag früher das Augenmerk von Betriebsärztinnen und Betriebsärzten eher auf der körperlichen Gesundheit der Beschäftigten, so ist in den letzten Jahren das mentale Befinden immer stärker in den Mittelpunkt gerückt. Auch DOKTUS ist hier aktiv und liefert zum Beispiel Hilfen zur Erstellung von psychischen Gefährdungsbeurteilungen. In einer Branche scheint das Thema ganz besonders virulent zu sein, wie nun eine Studie aus Heidelberg zeigt.
Forscher schlagen Alarm
Journalismus macht krank. Verkürzt ausgedrückt ist das das Ergebnis einer Untersuchung der Otto-Brenner-Stiftung (OBS), die sich mit der aktuellen Situation von Journalisten auseinandersetzt, über die der Kress-Report berichtet. Auch der Verein „Junge Journalistinnen und Journalisten Schweiz“ (JJS) hat sich mit dem Thema beschäftigt und kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Vergleichbare Forschungen gibt es in Frankreich und den USA. Dort wollen Forscher sogar herausbekommen haben, dass das Stresslevel der Journalisten das drittgrößte hinter Soldaten und Feuerwehrmännern sei, noch vor Polizisten.
Stress geht über normalen Berufsalltag hinaus
Dass der Beruf des Journalisten mit viel Stress behaftet ist, war schon zu Zeiten des rasenden Reporters Egon Erwin Kisch so. Allerdings hat sich der Berufsalltag in den letzten einhundert Jahren enorm verändert. So sehen die Macher der Studien die mediale Transformation als gewaltigen Stresstreiber. Der Druck, alles so schnell wie möglich ins Netz zu stellen, ist enorm – und oft geht das auf Kosten der Qualität. Etwa die Hälfte der befragten Journalisten sieht einen Qualitätsverlust im Ergebnis der täglichen Arbeit. 84 Prozent glauben, dass der Beruf an Renommee verloren hat. Das manifestiert sich in Parolen wie „Lügenpresse“ oder „Systemmedien“ und sie nagen auch am Selbstbewusstsein vieler Journalistinnen und Journalisten.
Angst vor der Zukunft
Zurückgehende Anzeigenerlöse, sinkende Auflagen, verkleinerte Redaktionen – kaum ein Medienhaus bleibt davon unberührt. Es ist nur logisch, dass dies auch Auswirkungen auf die Mitarbeiter hat, von denen viele um ihren Job fürchten. Und diese Angst macht krank. Allerdings hat sich die Entwicklung schon seit Jahren angedeutet. Die Journalistin Judith Peuffer hatte schon 2006 Kollegen in großem Umfang schriftlich befragt. 157 von ihnen schickten die Fragebögen zurück. Nach ihrer Einschätzung litten 20 Prozent unter „einem hohen Burnout.“
Die Spirale in die Depression
Der Hamburger Psychiater Dr. Hans-Peter Unger hatte damals gegenüber dem Medienmagazin „medium“ beschrieben, wie die Abwärtsspirale in drei Stufen bis in das Burn-Out und die schwere Depression führt. Der Einstieg klingt vergleichsweise harmlos. Rückenschmerzen sind meist das erste Anzeichen, Kopf- und Zahnschmerzen können hinzu kommen und mancher grippale Infekt erweist sich als überraschend hartnäckig. Schlafstörungen häufen sich und es fehlt die Energie. Wer diese Vorzeichen ignoriert, fällt unweigerlich auf die zweite Stufe.
Wenn es ins Persönliche geht
Die körperlichen Beschwerden werden stärker, doch denen versuchen die Patienten nun mit Trotz zu begegnen. Sie stürzen sich umso verbissener in die Arbeit. Zwangsläufig häufen sich auch die Fehler. Die Reaktionen darauf sind unterschiedlich, sie reichen von Aggressivität bis zu innerem Rückzug. Die Leistungsfähigkeit lässt nach, gleichzeitig leidet das persönliche Umfeld, das nun auch so langsam eine Persönlichkeitsveränderung wahr nimmt.
Alarm bei Stufe drei
Nun sinkt die Arbeitsmoral, aber genau so der Lebensmut. Die Arbeit ist fehlerbehaftet, was wiederum den Druck ansteigen lässt. Auch das Privatleben wird nun zur Hölle. Häufig kommt es in dieser Phase zu Trennungen, was den Zustand des Patienten aber nur noch verschlimmert. An Schlaf ist kaum noch zu denken, die Situation wechselt zwischen völliger Apathie und nervöser Unruhe. Und nun brechen sich auch Selbstmordgedanken Bahn. Der Patient hat nun eine ausgewachsene Depression.
dju-Chefin Tina Kroll warnt
Wie sich nun zeigt, hat sich in den letzten 16 Jahren wenig geändert. Im Gegenteil, etliche Untersuchungsergebnisse lassen darauf schließen, dass sich die Situation dramatisch verschlimmert hat. Die Vorsitzende der deutschen Journalistenunion in der Gewerkschaft Verdi, Tina Kroll, ist alarmiert von der Studie der Otto-Brenner-Stiftung. Sie befürchtet, dass die ganze Journalisten-Branche kurz vor einem kollektiven Burn-Out steht. So appelliert sie an die Arbeitgeber, „sich um ein betriebliches Gesundheitsmanagement zu kümmern, und zwar eines, das vor allem die psychische Gesundheit in den Fokus nimmt“.
Der Nachwuchs geht verloren
In die gleiche Kerbe schlagen auch die jungen Journalistinnen und Journalisten aus der Schweiz. Auch sie fordern die Medienhäuser auf zu handeln. Dies sei in ihrem eigenen Interesse. Es seien gerade die engagierten und leidenschaftlichen Kollegen, die frustriert aufgeben würden. So gehe dem Journalismus der Nachwuchs verloren.
Warnendes Beispiel
Die Auswüchse in der Journalisten-Branche scheinen zwar extrem zu sein, doch auch andere Berufsgruppen sind vor solchen Entwicklungen nicht gefeit. Vor allem aus der Kreativwirtschaft sind ganz ähnliche Klagen zu hören. Hier ist die Arbeitsmedizin gefragt, im Vorfeld schon aktiv zu werden. Möglichkeiten bieten u. a. anonyme Mitarbeiterbefragungen zum Stress am Arbeitsplatz, teambildende Maßnahmen oder auch die Einrichtung von Compliancestellen.
Peter S. Kaspar