Beendet die EU die Musik?



Karneval - Die fünfte Jahreszeit

Keine Rose ohne Dornen, keine Orgel ohne Blei



Wenn Arbeitsschutz auf Kulturerhalt prallt: „The day the music died“, sang einst Don McLean. Offenbar scheint der Tag, an dem die Musik starb, nun gekommen, glaubt man den Pressemitteilungen zahlreicher Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Handwerk. Der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig fährt schweres Geschütz aus der Rock-Szene auf. Er benennt in der Krise die Bassisten von Metallica, U2 und Tho Who als Gewährsleute. Derweil sieht der Zentralverband des deutschen Handwerks das Ende des Orgelbaus in Deutschland, ja in ganz Europa gekommen. Andere sehen das immaterielle Weltkulturerbe des sächsischen Instrumentenbaus gefährdet. Und schuld daran ist – mal wieder – die EU.

Musikinstrumente brauchen Blei

Die Europäische Union hatte im April die Grenzwerte für Blei am Arbeitsplatz drastisch gesenkt. Statt 0,15 Milligramm dürfen jetzt nur noch 0,03 Milligramm Blei in einem Kubikmeter Luft nachweisbar sein. Auch der biologische Grenzwert soll sinken, von 70 Mikrogramm auf 15 Mikrogramm pro 100 Milliliter Blut. Was zunächst wie ein großer Schritt in Sachen Arbeitsschutz aussieht, bringt eine ganze Branche in Wallung – ja manche sehen ihre Existenz bedroht. Die Musikinstrumentenindustrie kann nämlich nicht auf Blei verzichten. Es gibt kaum ein Instrument, das ohne Blei auskommt. Am dringendsten wird es für Orgeln benötigt, denn ohne Blei keine Orgelpfeifen. Doch nicht nur Freunde der Kirchenmusik müssen sich fürchten. Saxofone brauchen ebenso das schwere Metall, wie die Gitarren und Bässe, die von Heavy Metal Bands gespielt werden. In einer alarmierenden Pressemitteilung hatte Martin Dulig (SPD), seines Zeichens Wirtschaftsminister von Sachsen, Rockgrößen aufgezählt, die ihre Instrumente aus dem Freistaat beziehen.

Im Vogtland spielt die Musik

Dass sich Sachsens stellvertretender Ministerpräsident in diesem Fall so in die Bresche wirft, hat einen guten Grund. Der sogenannte Musikwinkel um Klingenthal und Markneukirchen liegt im sächsischen Vogtland. Seit sich dort im Jahre 1677 die ersten böhmischen Instrumentenbauer niedergelassen hatten, entwickelte sich die Region im Lauf der Jahrhunderte zu einem Weltmarktführer für Musikinstrumente. Klingenthal wurde durch diese Industrie zeitweise zur reichsten Stadt Deutschlands, in der 15 Millionäre beheimatet waren. Über 50 Prozent aller Harmoniums kamen zu dieser Zeit aus dem Vogtland. Zwar sind diese goldenen Zeiten schon länger vorbei, doch noch immer spielt der Instrumentenbau im Vogtland eine riesige Rolle. Er ist dort auch kulturell so tief verankert, dass dieses Handwerk in dieser Region als immaterielles Kulturerbe der UNESCO eingestuft wurde.

Streit um den Grenzwert

Ob sächsisches Wirtschaftsministerium oder Handwerkskammer – keiner der Kritiker verneint den Aspekt des Arbeitsschutzes. Es scheint sich auch niemand an der Notwendigkeit eines Grenzwertes zu stören. Allerdings gibt es beim ein oder anderen gewisse Zweifel daran, ob es sich überhaupt noch um einen Grenzwert handeln könne. So meint beispielsweise Martin Dulig, dass dieser Grenzwert nahe an der Nachweisgrenze liege und praktisch nicht zu erreichen sei. Tatsächlich fürchten viele Instrumentenbauer, dass die neuen Grenzwerte einem faktischen Verbot der Verwendung von Blei beim Bau von Musikinstrumenten gleich kommt.

Auch andere Branchen sind betroffen

Der lauteste Widerstand gegen die neuen Grenzwerte kommt bislang von den Instrumentenbauern. Doch es gibt auch noch andere Branchen, die mit Blei zu tun haben. Manche von ihnen haben eine mindestens so lange Tradition, wie der Instrumentenbau im Vogtland. Da sind zum Beispiel die Glasmaler oder Glaser, die mit historischen Bleiglasfenstern zu tun haben. Doch auch weniger exotische Berufe werden sich mit den neuen Grenzwerten auseinandersetzen müssen, etwa die Dachdecker. Über all da, wo es auf viel Gewicht mit wenig Volumen ankommt, ist das vergleichsweise günstige Blei gefragt. Allerdings ist Blei schon in vielen Bereichen verboten worden. So dürfen seit fast 20 Jahren Autoreifen nicht mehr mit Bleigewichten ausgewuchtet werden. Hier wurde das Blei durch das deutlich umweltfreundlichere Zink ersetzt. Allerdings sind Zinkgewichte nicht nur größer, sondern auch erheblich teurer.

Es besteht noch Hoffnung für den Orgelbau

Noch ist der letzte Takt im Vogtland nicht gespielt. Immerhin ist es dem Freistaat gelungen, den Bundesrat für das Thema zu gewinnen. So soll es für die sächsischen Instrumentenbauer eine Ausnahmeregelung der Grenzwerte für Blei geben. Damit wäre deren Existenz fürs erste gesichert. Doch der nächste Ärger droht schon aus Brüssel. Die EU bastelt gerade an einer neuen Lösungsmittelverordnung. Sie soll nächstes Jahr in Kraft treten. Wie der mdr berichtet, könnte das zum Aus für zahlreiche Lacke führen, die in der Branche dringend benötig werden.


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Peter S. Kaspar