Betriebsärzte warnen vor Schwermut
Für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hat sich das Arbeitsleben in den letzten beiden Jahren extrem verändert. Ein kurzer Plausch mit den Kollegen auf dem Gang, der Austausch in der Teeküche, das gemeinsame Feierabendbier – all das fiel in den vergangenen Jahren für die meisten weg. Wer im Homeoffice war, schätzte vielleicht zu Beginn eine gewisse Unabhängigkeit, doch viele spürten dann doch irgendwann das Fehlen der menschlichen Nähe. Aber nicht nur das kann auf lange Sicht zu Problemen führen.
Stimmungstöter – fast überall
Zwar kehrt so langsam die Normalität zurück. Das Homeoffice ist für viele wieder Geschichte. Das Thema Corona wirkt eher nervend als noch bedrohlich. Dafür rücken nun andere Schreckensszenarien in den Mittelpunkt. Die Kosten für den ganz normalen Einkauf scheinen aus dem Ruder zu laufen. Die Fahrt zur Tankstelle erweckt Gefühle wie bei einem Horrorfilm und nicht wenige fürchten, dass sie im Winter vielleicht frieren müssen, weil die Heizung unbezahlbar geworden ist.
Betriebsärzte schlagen Alarm
Das alles sind Dinge, die dem Menschen aufs Gemüt schlagen können, zumal immer mehr Menschen von existenziellen Ängsten geplagt werden. Hier offenbaren sich Sorgen, die sich schließlich auch auf die Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auswirken können. Auch DOKTUS verfolgt diese Entwicklung mit großer Aufmerksamkeit. Der Verband deutscher Betriebs- und Werksärzte (VdBW) schlägt nun Alarm. Immer häufiger würden Betriebsärzte auf Beschäftigte aufmerksam, die mit ihrer seelischen Gesundheit zu kämpfen hätten, heißt es in einer Mitteilung des Verbandes und weiter: „Mehr und mehr Beschäftigte wenden sich an ihren Betriebsarzt, um Sorgen und Befindlichkeiten anzusprechen.“
Auf Beschäftigte zugehen
Doch klar ist auch, dass es viele Beschäftigte gibt, die mit ihren akuten Sorgen eben nicht zum Betriebsarzt gehen, um dort Hilfe zu suchen. Es gilt, genau diese Schwellenangst zu überwinden. Die Konsequenz für den Verband ist, dass die Arbeitsmediziner und Betriebsärzte verstärkt selbst aktiv werden. So heißt es in der Mitteilung: „Neu ist unser Ansatz, sehr früh einzusteigen. Im Sinne des Menschen und im Sinne des Erhalts der Beschäftigungsfähigkeit ist ein frühzeitiger Blick auf die Gesundheit – auch auf die seelische Gesundheit – wesentlich.“
Prävention soll den Weg aus einer Krise weisen
Sobald es zu einer Krankschreibung wegen einer depressiven Verstimmung kommt, ist es meistens zu spät. Die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer fallen dann oft für viele Wochen aus. Bisweilen ist auch eine Reha oder ein langfristiger Kuraufenthalt nötig. Das soll ein Präventionskonzept verhindern, das die Betriebsärzte gemeinsam mit Unternehmen der Wissenschaft und Arbeitnehmervertretern entwickelt haben, um es dann als Angebot zur Verfügung zu stellen.
Die Beschäftigungsfähigkeit soll erhalten bleiben
Wenn es erst einmal zu Arbeitsausfällen gekommen ist, gibt es keine Gewinner mehr. Betroffene Beschäftigte leiden, die Produktionsfähigkeit der Unternehmen ist beeinträchtigt und schließlich trifft es auch die Kollegen, für die dann Mehrarbeit die Konsequenz sein kann. Das wiederum kann schließlich zu einer Kettenreaktion führen. Fällt eine Kollegin oder ein Kollege wegen einer Störung der seelischen Gesundheit aus, ist es möglich, dass bald die nächsten in den Krankenstand folgen. Schon aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Beschäftigungsfähigkeit erhalten bleibt.
Die Bedeutung der seelischen Gesundheit wird häufig unterschätzt
Noch immer wird die Bedeutung der seelischen Gesundheit von vielen unterschätzt. Vorgesetzte glauben an Drückeberger und Untergebene wollen nicht als „Weicheier“ dastehen. Sowohl die eine wie die andere Einstellung ist gleichermaßen gefährlich für jedes Unternehmen. DOKTUS rät daher allen Arbeitnehmer*innen, die sich längerfristig niedergeschlagen fühlen, von Sorgen um die eigene Existenz geplagt sind oder sonst wie aus dem Gleichgewicht geraten sind, den Gang zu Betriebsarzt nicht zu scheuen. Umgekehrt gilt auch für jeden Chef, dass er ein waches Auge hat, wenn Mitarbeiter*innen scheinbar in einem Dauertief stecken. Im Zweifel ist es dann besser, ihnen zu einem Besuch beim Betriebsarzt zu raten, als sie unter Generalverdacht zu stellen. Am Ende fahren damit beide besser.
Peter S. Kaspar