Betriebsmedizin – Wie alles begann

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Bernadino Ramazzini hat schon vor Jahrhunderten erkannt, dass im Berufsleben Handlungsbedarf herrscht (Bildquelle Wikipedia)

Alles hat einen Anfang, selbst die Betriebsmedizin. Doch seit wann gibt es diese überhaupt? Wann begannen Arbeitssicherheit und Arbeitsschutz eine Rolle zu spielen, und wer waren die ersten Betriebsärzte? DOKTUS ist der Frage einmal nachgegangen.
Die Staublunge gilt als der Klassiker der Berufskrankheiten. Das mag vielleicht mit der Wahrnehmung der Kohlekumpel in den 1950er Jahren zusammenhängen. Auf deren kräftigen Schultern ruhte das Wirtschaftswunder – und dafür mussten viele von ihnen früh sterben. Ansonsten verbot es sich von selbst, über krankmachende Arbeitsplätze zu lamentieren. Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit waren weitaus weniger wertgeschätzt als heute.

Ein Papyrus berichtet über die Staublunge

Ironischerweise ist gerade die Staublunge die allererste dokumentierte Berufskrankheit. Die Aufzeichnungen stammen aus einer Zeit, da noch niemand auch nur auf die Idee gekommen war, zwischen Rhein und Ruhr nach Kohle zu schürfen. Auf dem rund 3500 Jahre alten Papyrus Ebers, einem medizinischen Papyrustext aus dem alten Ägypten, findet sich Spannendes. Er entstand etwa der Zeit, als mit dem Bau des gewaltigen Luxor-Tempels begonnen wurde. Der Papyrus berichtet von Lungenkrankheiten, von denen nur die Steinmetze befallen wurden. Gut 1500 Jahre später gab der Römer Plinius der Ältere erstmals Empfehlungen gegen die Staublunge. In der Renaissance beschäftigten sich Paracelsus und Agricola intensiv mit der Krankheit.

Krampfadern bei Eseltreibern

Mit einer ganz anderen Berufskrankheit befassten sich die Mediziner Abulkasim (Ibn Qasim) und Avicenna (Abu Ibn Sina), die in Isfahan und in Cordoba um die Jahrtausendwende lehrten, forschten und heilten. Abulkasim hatte bei Ackerbauern und Eseltreibern Krampfadern ausgemacht, Avicenna hatte das gleiche bei Lastenträgern und Menschen entdeckt, die „den ganzen Tag rechts neben dem Herrscher stehen.“ Vielleicht waren die beiden dem Ratschlag gefolgt, den Hippokrates schon 1400 Jahre zuvor den Ärzten mit auf den Weg gegeben hatte: Vor jeder Diagnose solle sich ein Arzt auch ansehen, was der Patient beruflich macht.

Und wer war nun der erste Betriebsarzt?

Bernadino Ramazzini, geboren 1633 auf Carpi, würde sich selbst wohl nicht gerade als Betriebsarzt bezeichnet haben. Trotzdem gilt er vielen heute als so etwas wie ein Vater der Betriebsmedizin. Der Jesuitenschüler studierte in Parma Philosophie und Medizin, bildete sich in Rom weiter, wo er eine Anstellung als Arzt fand. Schließlich eröffnete er in Modena eine eigene Praxis. Dort wurde er zum Professor für Medizin berufen. Beeinflusst von Gottfried Leibniz verfasste er eine sozialkritische Schrift über Krankheiten. Sie geriet zu einem ersten Werk, in dem über 50 Berufe aufgeführt sind, mit den dazugehörigen Berufskrankheiten. In dem Werk „De morbis artificum diatriba“ zählte er nicht nur die möglichen Berufskrankheiten auf, sondern gab auch schon Empfehlungen, wie sie zu vermeiden sind. Ramazzini war auch der erste, der darauf hinwies, dass Kopfschmerzen durch äußerliche Substanzen verursacht werden können. Die Schrift wurde im Jahr 1700 veröffentlicht und erschien 1713, ein Jahr vor Ramazzinis Tod, in einer neuen Auflage.

Die Wende im 19. Jahrhundert

Vielen Ärzten war zwar inzwischen klar, dass bestimmte Berufe zu bestimmten Krankheiten führen konnten, doch mehr als die Einsicht, dass es sich dabei um ein unabänderliches Schicksal handelte, war lange nicht erkennbar. Das änderte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Arbeiterbewegung hatte inzwischen längst den Zusammenhang zwischen Arbeit und Gesundheit ausgemacht, forderte besseren Arbeitsschutz und eine bessere Versorgung. 1884 wurde in Deutschland das Unfallversicherungsgesetz eingeführt und mit ihm traten die Berufsgenossenschaften auf den Plan, die zu den Trägern der Unfallversicherung wurden. Sie sind es bis zum heutigen Tag geblieben.

Berufskrankheiten sind ein Spiegel der Zeit

Mehr als 80 Berufskrankheiten sind, Stand 2019, in Deutschland als solche anerkannt. Ihre Verteilung spiegelt auch ein Stück der deutschen Geschichte wider. In den 50er Jahren spielte die Staublunge der Bergleute eine große Rolle. Mit dem Niedergang des Bergbaus zogen andere Berufskrankheiten die Aufmerksamkeit auf sich. Erst sehr spät erkannte zum Beispiel das Baugewerbe, wie gefährlich der Umgang mit Asbest war, mit dem in den 60er und 70er Jahren fast überall gebaut wurde. Die Asbestlunge wurde fast ebenso bekannt, wie die Staublunge. Mit der sprunghaft gestiegenen Zahl von Büroarbeitsplätzen stieg die Zahl der Wirbelsäulenerkrankungen an.

Oft ist es ein langer und zäher Weg, bis eine Krankheit als Berufskrankheit anerkannt wird. Bisweilen entscheiden das erst die Gerichte. So stritten Bundeswehrangehörige Jahrzehnte lang darum, dass ihre Krebserkrankungen als Berufskrankheit anerkannt wurden, die mutmaßlich durch Röntgenstrahlen von Radargeräten ausgelöst wurden. Erst 2014 wurde es schließlich als Berufskrankheit bei Radarmechaniker vom Bundessozialgericht anerkannt. Heute spielen mentale Beeinträchtigungen wie Burn-Out oder Depression eine wichtige Rolle in der Betriebsmedizin, Erkrankungen, die in den 50er Jahren als solche kaum erkennbar waren. So bringt jedes Zeitalter seine eigenen beruflichen Risiken mit. Der Betriebsmedizin werden die neuen Themen so schnell nicht ausgehen.


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Peter S. Kaspar