Der schöne Schein der Statistik

Erste Hilfe

Ausbildung zum Ersthelfer – zwischen Anspruch und Wirklichkeit – Bildquelle: Fotolia

Schaut man die nackten Zahlen an, dann müsste die Bundesrepublik Deutschland ein Land der Ersthelfer:innen sein. Jedes Jahr werden bundesweit 1,3 Millionen Menschen in Erster Hilfe unterwiesen. Wer einen Führerschein erwirbt, bekommt ihn erst, wenn er einen entsprechenden Kurs nachweisen kann. Auch jedes Unternehmen muss, je nach Größe und Branche, eine bestimmte Anzahl von Ersthelfer:innen im Betrieb nachweisen. Für manche Berufsgruppen ist die Erste-Hilfe-Ausbildung Pflicht, zum Beispiel bei Flugbegleitern. Auch im Privat- und Freizeitbereich gibt es Konstellationen, in denen ohne Unterweisung in Erster Hilfe nichts geht, etwa bei den Wasserretter:innen der DLRG, ab einem bestimmten Ausbildungslevel müssen auch Sporttaucher eine Ersthelferausbildung absolvieren. Für Übungsleiter und Trainer in Vereinen wird eine solche Ausbildung dringend empfohlen. Im manchen Berufsgruppen wird ein Ersthelferkurs als Fortbildungsmaßnahme anerkannt. Gefühlt sollte also nahezu jeder Deutsche irgendwann mal einen Ersthilfekurs abgelegt haben. Die Realität spricht aber eine andere Sprache. Jedes Jahr erleiden rund 120.000 Menschen in Deutschland einen Herz-Kreislauf-Stillstand. Nur die Hälfte davon bekommt Unterstützung durch einen Ersthelfer. Am Ende überleben nur etwa 12.000. DOKTUS sucht nach den Gründen dafür.

In anderen Ländern sieht es besser aus.

Mit einer Ersthelferquote von gerade mal 50 Prozent steht Deutschland im europäischen Bereich nicht gerade gut da. In Ländern wie den Niederlanden oder in Norwegen liegt die Quote bei 80 Prozent. Das sagt zwar über den Erfolg einer Herz-Lungen-Widerbelebung (HLW) noch gar nichts aus. Doch statistisch gesehen könnten die Überlebenschancen von zehn auf 30 Prozent ansteigen, wenn das Ersthelfernetz in Deutschland so dicht geknüpft wäre, wie in den genannten Ländern. Dort sind auch schon länger Apps im Einsatz, die den Ersthelfer nicht nur anleiten, sondern auch schnell eine Verbindung mit der nächsten Einsatzzentrale herstellen können. Bei einem Herzanfall geht es um Minuten und Sekunden. Die Aufgabe des Ersthelfers ist eigentlich nur die, den Patienten so lange am Leben zu erhalten, bis professionelle Hilfe in Form eines Rettungssanitäters eintrifft.

Erste Hilfe in Betrieben

Nach den Maßgaben der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) ist die Erste Hilfe in Betrieben klar geregelt. In Unternehmen von zwei bis 20 Beschäftigten muss es mindestens eine Person geben, die in Erster Hilfe ausgebildet wurde. Ist der Betrieb größer, müssen es bei reinen Verwaltungsbetrieben 5 Prozent der Angestellten sein, die in Sofortmaßnahmen ausgebildet wurden, bei allen anderen Firmen muss jeder zehnte aus Unfallhelfer geschult werden. Im Gegensatz zu dem Ersthelfer-Kurs für Fahranfänger, der ein Leben lang gilt, müssen Ersthelfer in Betrieben ihr Wissen alle zwei Jahre durch ein Training auffrischen. Das ist schon deshalb wichtig, weil sich andere Ersthelfer irgendwann auch nicht mehr als solche empfinden. Viele sagen, dass sie das meiste inzwischen vergessen hätten und sich deshalb eine Erste Hilfe gar nicht zutrauen würden, aus Angst, mehr Schaden anzurichten, als durch den Notfall sowieso schon entstanden ist.

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Was kostet ein Erste-Hilfe-Kurs?

Allerdings müssen die Kurse auch bezahlt werden. In Unternehmen übernimmt das die zuständige Berufsgenossenschaft. Würde also – etwa über den Weg eines Gesetzes – die Zahl der verpflichtenden Ersthelfer erhöht werden, würde eine Ausdehnung der Ersthelferausbildung ein Loch in die Kassen der BGs reißen, das die derzeit nicht stopfen wollen. Wer privat einen Ersthelfer-Kurs machen will, bezahlt derzeit, je nach Organisation, zwischen 55 und 70 Euro. Dafür werden Teilnehmer in 9 Unterrichtseinheiten á 45 Minuten geschult. Es geht dabei unter anderem um die richtige Ansprache eines Unfallopfers, um Wundversorgung, stabile Seitenlage und alle andere Grundlagen der ersten Hilfe. Höhepunkt und anspruchsvollster Teil einer Ersthelferausbildung ist die Herz-Lungen-Wiederbelebung (HLW). Am Ende gibt es für alle Teilnehmenden ein Zertifikat, das die Teilnehme bestätigt.

Ist die App die Lösung

In Nachbarländern wird bereits auf die App gesetzt. Auch einige Bundesländer versuchen das bereits. Doch eine einheitliche Lösung gibt es noch nicht. Lediglich Brandenburg, Berlin und Schleswig-Holstein arbeiten an einer gemeinsamen Lösung, mit dem Ziel einer Vernetzung der ersten Hilfe. Trotzdem gibt es bereits jetzt schon in den App-Shops Möglichkeiten, elektronische Unterstützung zu erhalten. Mit den Apps vom Weißen Kreuz, dem Roten Kreuz oder des Arbeiter Samariter-Bundes lassen sich Erste-Hilfe-Kenntnisse wieder auffrischen. Im Notfall können sie auch eine wichtige Hilfe sein, wenn es etwa um das korrekte Procedere bei der Versorgung eines Verletzten geht. Im Idealfall wären diese Apps auch noch mit den zuständigen Rettungsleitstellen vernetzt. Einerseits könnte die Rettungskette verkürzen, andererseits könnten Ersthelfer von professionellen Rettungssanitätern per App vor Ort solange unterstützt werden, bis der Notarzt eingetroffen ist.

Es braucht mehr Ersthelfer:innen

Solche Ideen, die in anderen Ländern schon Realität sind, scheitern in Deutschland derzeit an unterschiedlichen Standards und Länderinteressen. Wann das überwunden sein wird, ist bislang nicht absehbar. Dennoch bleibt das traurige Faktum, dass jedes Jahr Zehntausende in Deutschland sterben, weil es zu wenig Ersthelfer gibt, die die lebensrettende Unterstützung leisten könnten. Daraus folgt am Ende: Es müssen mehr Ersthelfer:innen ausgebildet werden. Vor allem in den Betrieben, aber auch über Vereine, Verbände und andere Organisationen.

Peter S. Kaspar