Der versicherte Kaffee
Wann ist ein Arbeitsunfall ein Arbeitsunfall? Kaum eine Frage spaltet mehr in der Sozialgerichtsbarkeit. Passieren kann schließlich immer und überall etwas. Zum Beispiel auch beim Kaffeeholen. Und am Ende müssen sich die Gerichte mit dem Fall beschäftigen, so zum Beispiel mit dem der 57jährigen, die nur mal schnell einen Kaffee holen wollte.
Nicht alles, was im Betrieb passiert, ist versichert
Eigentlich, so sollte man meinen, ist alles, was hinter dem Werkstor passiert, von den entsprechenden Berufsgenossenschaft abgedeckt. Das ist im Falle eine Unfalls deshalb für den Versicherten so wichtig, weil die Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung viel umfangreicher sind, als die der Krankenkassen. Die sind immer dann zuständig, wenn ein Unfall nicht im Zusammenhang mit der Arbeit steht. Und genau hier beginnen die Spitzfindigkeiten zwischen Unfallversicherung und Krankenkasse. Jeder schiebt natürlich die Leistungsgewährung gerne auf den anderen. Legendär sind die am Ende gerichtlichen Definitionen, was zum Arbeitsweg gehört und was nicht. So ist der Weg zur Arbeit durch die Unfallsversicherung abgedeckt, der Zeitungskauf unterwegs am Kiosk aber nicht. Nun könnte mach daraus schließen, dass jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin automatisch unter dem Schirm seiner/ihrer Berufsgenossenschaft steht, sobald er/sie das Betriebsgelände erreicht hat. Doch das ist leider nicht so. Auch im Betrieb steht die gesetzliche Unfallversicherung nicht für jeden Unfall ein. Es kommt auf die Details an.
Mittagessen und Toilettengang sind nicht versichert
Wer in einem großen Betrieb mit einer Kantine arbeitet, sollte es sich zwei Mal überlegen, ob er sie aufsucht – zumindest als ängstlicher Mensch sollte er es nicht tun. Denn ein Ausrutscher auf dem frisch gebohnerten Boden kann schlimme Folgen haben. Kein Problem, wenn die gesetzliche Unfallversicherung bezahlt. Tut sie aber nicht, zumindest nicht, wenn es nach der Unfallkasse Hessen geht. Für sie ist klar: mit den Durchschreiten der Kantinentür endet der Versicherungsschutz. Das gleiche gilt im Übrigen auch für die Toilette. Das ist auch logisch, denn der Toilettengang ist schließlich Privatsache – privater geht es wohl kaum. Aber wenn etwas privat ist, kann es notwendigerweise nicht geschäftlich sein. Und so ist dieses Geschäft eben nicht versichert. Auch das Mittagessen ist ein sogenanntes Eigenwirtschaftliches Interesse. Also geht es die Unfallversicherung grundsätzlich nichts an.
Kaffee aus dem Automaten nicht versichert?
Die eingangs erwähnte 57ährige verletzte sich allerdings nicht in der Kantine, sondern auf dem Weg zum Kaffeeautomaten im Sozialraum. Auf einer frischgewischten Stelle im Gang rutschte sie aus und brach sich einen Lendenwirbel. Sie wollte die Verletzung als Arbeitsunfall anerkannt haben, doch die Unfallkasse Hessen lehnte ab. Für sie handelte es sich um Eigenwirtschaftliches Handeln. Schließlich stand der Kaffeeautomat im Sozialraum. Und der ist ja wohl etwas ähnliches wie eine Kantine, oder nicht?
Landessozialgericht entscheidet für die Kaffeeholerin
Das Landessozialgericht Hessen, mit Sitz in Darmstadt, sah das allerdings ein wenig anders. Es sieht sehr wohl einen Unterschied zwischen Kantine und Sozialraum. Außerdem sah das Gericht einen inneren Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und dem Kaffee. Nahrung, die „zum alsbaldigen Verzehr“ erworben wird, kann demnach sehr wohl geholt werden, ohne dass die betreffende Person unterwegs ihren Versicherungsschutz verliert.
Es gibt Einschränkungen
Allerdings gibt es durchaus Einschränkungen. Ein Sozialraum kann durchaus zur Kantine deklariert werden. Dann sieht es mit dem Versicherungsschutz schon wieder anders aus. Wer zudem Nahrung für Außerhalb erwirbt, kann auch nicht damit rechnen, dass ein schmerzliches Missgeschick als Arbeitsunfall angerechnet wird. Wer also aus einem Automaten auf dem Gang einen Musliriegel für Zwischendurch zieht, ist bei einem Unfall versichert. Holt er sich aber eine Tüte Chips für den Fußballabend auf er Couch, zahlt lediglich die Krankenkasse. Das letzte Wort ist aber möglicherweise in dem Fall noch nicht gesprochen. Das Landessozialgericht ließ Revion beim Bundessozialgericht zu. (Aktenzeichen: L 3 U 202/21).
Peter S. Kaspar