EU-Parlament stolpert über eigene Richtlinie

Gericht

Whistleblower gewinnt Rechtsstreit vor dem EuG nur zum Teil – Bildquelle: Fotolia

Mit der Whistleblower-Richtline von 2019 ging das Europäische Parlament einen großen Schritt, der nicht überall Zustimmung fand. Unternehmen und Behörden befürchteten Bespitzelungsattacken, die EU konterte damit, dass diese Richtlinie eine mächtige Waffe im Kampf gegen Geldwäsche, Korruption und organisiertes Verbrechen sei. Nun hat sich das Parlament im Netz der eigenen Richtlinie verfangen. Das Gericht der Europäischen Union (EuG) urteilte, dass die Volksvertretung zu wenig für den Schutz eines Whistleblowers getan habe. Der Betroffene hatte auf 200.000 Euro geklagt. Das Gericht gestand ihm letztlich aber nur 10.000 Euro zu.  Gut möglich, dass der Fall erst in den nächsten Instanz, dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) entschieden wird. DOKTUS schildert den Fall.

Assistent fliegt auf

Es ging um Mobbing und es ging um finanzielle Unregelmäßigkeiten – also genau um die Sachverhalte, für die die Hinweisgeber-Richtline geschaffen wurde. Der Assistent eines EU-Abgeordneten gab entsprechende Hinweise über das Verhalten seines Vorgesetzten weiter. Der Assistent wurde abgezogen und einem anderen Abgeordneten zugewiesen. Doch das ging offenbar nicht lange gut, denn inzwischen war auch bekannt geworden, dass er Hinweise weitergegeben hatte. Genau davor hätte ihn die Hinweisgeber-Richtlinie schützen sollen, die das Parlament ja selbst erlassen hatte. Die Konsequenz daraus: Sein Vertrag wurde nicht verlängert, angeblich als Schutzmaßnahme.

Brisantes Urteil

In der Nichtverlängerung des Vertrages sah der Kläger unter anderem eine repressive Maßnahme, vor der ihn genau die Whistleblower-Richtline schützen sollte. Doch diesen Punkt sah das Gericht anders. Der Kläger arbeitete als akkreditierter Assistent eng mit dem Abgeordneten zusammen und ihm zu. Im Urteil sprach das Gericht von einer „durch ein Vertrauensverhältnis gekennzeichnete Arbeitsbeziehung”. Dieser Teil des Urteils ist deswegen so bemerkenswert, weil es gerade Loyalitäten sind, die der Durchsetzung der Richtlinie in der EU oder Regelwerken, wie in Deutschland, dem Hinweisgeber-Schutzgesetz, häufig im Wege stehen. Nach einer Untersuchung des Wirtschaftsberatungsunternehmens Ernst & Young sind vier von zehn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bereit, gegen Integritätsvorgaben zu verstoßen, wenn sie von einem Vorgesetzten dazu aufgefordert werden.

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Parlament hätte Kläger besser schützen müssen

Dass es trotzdem zu einem Teilerfolg der Klage kam, ist einem anderen Umstand geschuldet. Das Gericht stellte fest, dass das Parlament viel zu wenig dafür getan habe, um die Anonymität des Whistleblowers zu wahren. Schlimmer noch: Das Parlament hatte den Status des Klägers als Hinweisgeber transparent gemacht, ohne ihn überhaupt darüber zu informieren. Dadurch sei er der Möglichkeit von Repressionen ausgesetzt gewesen. Damit hatte die Volksvertretung gleich mehrfach gegen Richtlinien verstoßen, die sie selbst aufgestellt hatte. Außerdem monierte es noch einen zweiten Punkt. Die Freisetzung des Assistenten hätte nicht die einzige Option sein dürfen. Tatsächlich habe sich die Verwaltung des Europaparlaments lediglich darauf beschränkt, dem Kläger mitzuteilen, dass seine Befreiung von seinen Aufgaben die einzige denkbare Maßnahme zu seinem Schutz gewesen sei.

Urteil noch nicht rechtskräftig

Zwei Monate haben Kläger und Beklagte nun Zeit, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen. Wenn das passiert, wird vor dem Europäischen Gerichtshof neu verhandelt. Dabei wird es wohl dann nicht nur um die zugestandene Höhe des Schadenersatzes gehen. 10.000 Euro sind schließlich nur ein kleiner Bruchteil des Summe, die der Kläger gefordert hatte. Von grundsätzlicher Bedeutung dürfte auch die Anmerkung des Europäischen Gerichts sein, in dem auf das Vertrauensverhältnis zwischen dem Abgeordneten und dem Assistenten hingewiesen wird. Dieser Punkt könnte zu erheblichen Auswirkungen auf die Whistleblower-Richtlinie führen und könnte möglicherweise auch Konsequenzen für das deutsche Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) bedeuten.
Aktenzeichen: T-793/22

Peter S. Kaspar