Horror auf dem Weg zur Arbeit

Karneval - Die fünfte Jahreszeit

Nicht alle Wege sind im Winter so gut gefegt wie dieser. Was bei anderen Wegen zu beachten ist, lesen Sie in diesem Text

In den vergangenen Jahren sank im Winter das Thermometer in weiten Teilen Deutschlands nur selten unter den Gefrierpunkt, Schnee war zu einer Seltenheit geworden und Erzählungen über zweistellige Minusgrade klangen wie alte Legenden. Doch dieses Jahr ist er wieder da, der Winter, mit allem, was dazu gehört: Mit Eis, gefrierendem Regen, geschlossenen Schneedecken und vereisten Türschlössern. Doch das Problem ist weniger die Kälte, das Problem ist, dass viele Menschen den Winter schlicht und einfach in den letzten Jahren verlernt haben. 
„Es regnet Knochen“, so formulierte es Bernd Seehausen gegenüber dem Privatsender rtl. Seehausen leitet die Notaufnahme der Caritas-Klinik „Maria Heimsuchung“ in Berlin Pankow. Als Berlin vom Eisregen heimgesucht wurde, gingen bei Seehausen ganz schnell Tragen und Rollstühle aus. Die Kapazitäten waren bald erschöpft. In anderen Berliner Kliniken sah es nicht besser aus. Seehausens Rat: „Einfach zu Hause bleiben“. Doch ist der Rat wirklich so gut? Arbeiter und Angestellte könnten das vielleicht anders bewerten. DOKTUS hat sich das mal genauer angeschaut.

 

Zu Hause bleiben bei extremem Wetter?

Der Ratschlag ist gut gemeint, und wer ihn befolgen kann, sollte das auch tun. Das Problem ist jedoch für viele Arbeitnehmer, dass die Pflicht ruft – an den meisten Arbeitsplätzen gehört zur Pflicht auch noch die Pünktlichkeit. Und da fängt es schon an. Widrige Witterungsverhältnisse sind arbeitsrechtlich kein Grund dafür, nicht rechtzeitig am Arbeitsplatz zu erscheinen. Das heißt, wer durch Schnee und Eis ausgebremst wird, muss die Zeit, die er zu spät gekommen ist, eigentlich wieder nacharbeiten. Theoretisch kann die Zeit auch vom Lohn abgezogen werden – oder noch schlimmer: Es kann eine Abmahnung geben. Im konkreten Arbeitsalltag wird das freilich selten passieren.
Arbeitsrechtlich gesehen wären die genannten Reaktionen des Arbeitgebers alle legitim. Ein eigenmächtiges zuhause Bleiben ist bei extremem Wetter also nicht besonders ratsam.

Was, wenn etwas passiert?

Es gibt das schöne alte Sprichwort: Eile mit Weile. Im Grunde ist das eine Warnung, sich Übergebühr zu beeilen, denn die Gefahr, dass dann etwas schief geht, steigt mit der Eile. Tatsächlich kann das juristisch eine Rolle spielen. Wer etwa schnell vorankommen will und dabei einen Unfall verursacht, dem wird gewöhnlich erst einmal Fahrlässigkeit, vielleicht sogar grobe Fahrlässigkeit unterstellt. Wenn es um Fahrlässigkeit geht, werden nicht nur Juristen, sondern auch Vertreter der Versicherungswirtschaft schnell hellhörig, denn Fahrlässigkeit, vor allem grobe Fahrlässigkeit, kann schnell zum teilweisen oder völligen Verlust eines Versicherungsschutzes führen. Wie sieht es also bei einer Arbeitnehmerin oder einem Arbeitnehmer aus, die oder der auf dem Weg zur Arbeit verunglückt? Klar, das ist zunächst ein Wegeunfall. Der wird wie ein Arbeitsunfall behandelt und ist durch die Berufsgenossenschaft beziehungsweise durch die Deutsche gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) abgedeckt.

Nur bei Vorsatz wird nicht bezahlt

Doch was passiert mit dem eifrigen Angestellten, der trotz aller Warnungen sich bei Blitzeis auf sein Rad schwingt, um rechtzeitig im Büro zu sein und sich nach 200 Metern mit seinem Drahtesel flachlegt? Bilanz, zwei angeknackste Rippen und ein gebrochenes Schlüsselbein. Sechs Wochen krankgeschrieben. Das klingt nun in der Tat sehr nach grober Fahrlässigkeit. Manche private Versicherung würde nun auf ihr Kleingedrucktes verweisen. Die gesetzliche Unfallversicherung bezahlt. Die Fahrlässigkeit ist in diesem Fall völlig unerheblich. Es gibt nur eine Ausnahme, bei der die gesetzliche Unfallversicherung nicht bezahlen würde: Wenn dem Unfallopfer Vorsatz nachzuweisen ist. Unser eifriger Angestellter hätte sich also bewusst mit seinem Rad auf die vereiste Straße werfen müssen, in der Absicht, sich das Schlüsselbein zu brechen und zwei Rippen anzuknacksen.

Kulanz ist der klügere Weg

Was also tun, wenn es Stein und Bein friert und der Weg zur Arbeit zum Risiko wird? Aus Arbeitnehmersicht ist es klüger, sich für einen Tag abzumelden und dafür möglicherweise einen Urlaubstag in Kauf zu nehmen. Insofern hat der Notfallmediziner natürlich Recht. Allerdings würde das den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern das alleinige Risiko für den Arbeitsweg bei Extremwetterlagen aufbürden. Das wiederum birgt die Gefahr, dass sich Mitarbeiter wider besseren Wissens trotzdem auf den Weg zur Arbeitsstelle machen. Wenn dann doch etwas passiert, dann schadet das auch dem Unternehmer, weil sein Mitarbeiter unter Umständen wochenlang ausfällt. Daher scheint Kulanz der klügere Weg zu sein. So sollte man Mitarbeiter bei gefährlichen Wetterlagen eher ermuntern, zuhause zu bleiben – und den Lohn dann auch fortzahlen. Das kommt allemal billiger als ein wochenlanger Ausfall einer vielleicht wichtigen Arbeitskraft.

Peter S. Kaspar