Meinungsfreiheit oder Betriebsfrieden
Im Mai 2023 fallen im Mercedeswerk in Sindelfingen Schüsse. Zwei türkische Mitarbeiter einer Logistikfirma sind tot, erschossen von einem ebenfalls in dem Unternehmen angestellten Landsmann. Im Prozess gab der Schütze an, er sei von seinen beiden Vorgesetzten – beide Anhänger der türkischen Regierungspartei AKP – gemobbt worden. Er habe Angst um seinen Arbeitsplatz gehabt und gefürchtet, dass er in die Türkei abgeschoben worden wäre – und das als Gegner des türkischen Präsidenten Erdogan. Trotzdem wurde der Schütze vom Landgericht Stuttgart zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt. Nachdem auch die Revision abgewiesen wurde, ist das Urteil seit Juli 2024 rechtskräftig. Dass ein Streit um Politik am Arbeitsplatz dermaßen eskaliert, ist ungewöhnlich, nicht aber, dass politische Themen am Arbeitsplatz Streit verursachen. Muss das Unternehmen das dulden oder kann es sich gegen politische Aktivitäten im Unternehmen wehren? DOKTUS ist der Frage nachgegangen.
Die Meinungsfreiheit gilt überall
In Artikel 5 des Grundgesetzes heißt es: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“ Das gilt auch und ganz besonders sogar für Politik. Deshalb ist das Äußern von politischen Ansichten in einem Unternehmen nicht per se verboten. Doch wie es in Verträgen das Kleingedruckte gibt, das manchmal die wichtigen Passagen enthält, so ist es beim Grundgesetz mit den Einschränkungen. Die finden sich im Artikel 5 im zweiten Absatz. Da heißt es: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“ Gerade bei hitzigen politischen Diskussionen wird vor allem der letzte Teil des Satzes gerne vergessen und es werden tüchtig gegenseitig Beleidigungen ausgeteilt.
Auch der Betriebsfrieden ist ein hohes Rechtsgut
Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber können jetzt nicht von oben herab bestimmen, über was geredet werden darf. Selbst wenn es direkt am Arbeitsplatz während der Arbeitszeit ein Schweigegebot aus arbeitsökonomischen Gründe gäbe, spätestens in den Arbeitspausen könnte man den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Mund nicht mehr verbieten. Doch es gibt einen Umweg – und der heißt Betriebsfrieden. Was Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber von ihren Beschäftigten immer erwarten können, ist den Betriebsfrieden zu wahren. Wenn also politische Diskussionen so hitzig werden, dass eben dieser Betriebsfrieden gefährdet ist, dann kann die Unternehmensführung mit der Androhung von Abmahnungen reagieren. Sollte dann noch kein Frieden einkehren, sind auch Abmahnungen und im schlimmsten Fall auch Entlassungen nicht ausgeschlossen. Das gilt im Übrigen nicht nur für Politik. Auch Fans von rivalisierenden Fußballvereinen können so zum Beispiel zur Raison gebracht werden, wenn ihr Verhalten am Arbeitsplatz die Arbeitsabläufe nachhaltig beeinträchtigt.
Ist der Betrieb automatisch eine politikfreie Zone?
Flugblätter oder Plakate einer Partei, etwa in Zeiten des Wahlkampfs, haben in einem Unternehmen nichts zu suchen. Trotzdem ist ein Betrieb nicht automatisch eine politikfreie Zone. Das zeigt sich spätestens dann, wenn es um die Wahlen zum Betriebsrat geht. Vor allem in großen Unternehmen konkurrieren dann doch – zumindest indirekt – politische Parteien miteinander. Wenn etwa eine DGB-Gewerkschaft Kandidatinnen und Kandidaten ins Rennen um Betriebsratsposten schickt, so liegt der Gedanke nahe, dass sie eher den Sozialdemokraten, der Linken, manchmal auch den Grünen nahestehen. Wer auf dem Ticket der CDA, der Christlich-Demokratischen Arbeiterschaft, kandidiert, wird in der Regel von der CDU ins Rennen geschickt. Darüber hinaus gibt es Organisationen, die weniger parteipolitisch beeinflusst sind, wie die Deutsche Angestellten Gewerkschaft (DAG) oder der Deutschen Beamtenbund (DBB). Darüber hinaus bilden sich auch unabhängige Listen, die entweder tatsächlich unabhängig sind, oder hinter denen dann doch wieder eine politische Partei steht. Da aber alle diese Organisationen ihre Kandidatinnen und Kandidaten durchbringen wollen, gibt es am Ende doch so etwas wie einen Wahlkampf. Da der ohne Inhalte und Argumente nicht geht, erfahren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sehr schnell, wo ihre künftigen Vertreterinnen und Vertreter politisch stehen. Doch auch beim Kampf um Betriebsratsposten gilt: Zurückhaltung wahren und den Betriebsfrieden am Ende nicht stören.
Peter S. Kaspar