Sorge oder Übergriff

Krankschreibung

Hoher Krankenstand in Grünheide, Tesla macht Krankenbesuche – Bildquelle: Fotolia

Nehmen wir irgendein fiktives, aber typisches Dorf auf der Schwäbischen Alb. Der Besitzer der ortsansässigen Schraubenfabrik ist gleichzeitig Chef der größten Gemeinderatsfraktion, Vorsitzender des Männergesangvereins „Frohsinn“ und des FC Kickers. Einer seiner Angestellten schickt eine Krankmeldung. Er liegt für mindestens eine Woche flach. Es werden keine zwei Tage vergehen, da steht sein Chef mit einem großen Blumenstrauß vor der Tür, fragt nach dem Wohlbefinden und ob er irgendetwas für den armen Kranken tun könne. Natürlich will er auch wissen, ob denn sein zweiter Tenor am Samstagabend singen, oder sein Mittelstürmer Fußball am Sonntagmittag spielen kann. Aber im Grunde interessiert er sich dafür, ob sein Angestellter krank feiert oder nicht. Selbst dort oben auf der Alb kommt so etwas sehr unterschiedlich an. Die einen halten es heute noch für eine besondere Wertschätzung, wenn der Chef persönlich ins Haus kommt, andere finden so etwas einfach nur übergriffig. Nun hat ein solches Verhalten in manchen ländlichen Regionen tatsächlich eine Tradition. Was aber, wenn ein Weltkonzern plötzlich auf so eine Idee kommt? Da kann es dann schon mal rund gehen. DOKTUS hat nachgeschaut, was da los ist.

Hoher Krankenstand ruft Personalabteilung auf den Plan

Im August war es dann so weit: Das Tesla-Werk im Brandenburgischen Grünheide machte dicht – für zwei Wochen. Inzwischen war der Krankenstand auf sagenhafte 17 Prozent gestiegen. Bei den Leiharbeitern hatten sich dagegen nur zwei Prozent krank gemeldet. Da keimte in der deutschen Unternehmensleitung nun ein gewisser Verdacht auf, dem die Vorgesetzten der Erkrankten nachgehen sollten. Sie begannen Hausbesuche bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu machen. Die nahmen das jetzt nicht gerade als wertschätzend auf, obwohl das Unternehmen versicherte, dass man doch nur das Wohlbefinden der Beschäftigten im Auge gehabt habe. Die Besuchten nahmen das ganz anders auf. Von unverhohlener Aggressivität ist die Rede, ja sogar von der Androhung, die Polizei zu rufen. Ob diese Reaktionen damit zusammenhängen, dass die Unternehmensleitung vor etwa einem Jahr der Belegschaft Faulheit vorgeworfen hatte, ist nicht belegt.

Was darf das Unternehmen und was darf es nicht?

Wenn wegen dieser Besuche schon mit der Polizei gedroht wurde, drängt sich die Frage auf, ob Tesla mit den Besuchen übers Ziel hinausgeschossen sei oder gar wider geltendes Recht gehandelt habe? Schon mal vor ab: Ja, Tesla darf das, genau so wie es der Schwäbische Unternehmer auf der Alb darf. Es ist sogar statthaft, auf besonders hartnäckige Krankfeiernde, Privatdetektive anzusetzen. Natürlich darf ein Firmenvertreter auch an der Haustüre eines Angestellten klingeln. Allerdings ist der wiederum berechtigt, niemanden in die Wohnung zu lassen oder die Tür überhaupt zu öffnen. Auch daraus darf der Arbeitgeber keine Schlüsse ziehen, denn der Beschäftigte könnte ja mit hohem Fieber so bettlägerig sein, dass er es gar nicht bis zur Türe schafft.

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Krankschreibung schützt nicht immer

Auch wenn eine Krankschreibung vorliegt, schützt das nicht vor möglichen arbeitsrechtlichen Schwierigkeiten. Eine Gefälligkeitskrankschreibung kann sowohl den Beschäftigten als auch den ausstellenden Arzt in große Schwierigkeiten bringen. Hat ein Arbeitgeber Zweifel an der Krankschreibung, dann kann er bei der Krankenkasse beantragen, dass sie vom Amtsarzt überprüft wird. Bestätigt der Amtsarzt die Diagnose, darf er dem Arbeitgeber allerdings auch nur mitteilen, dass die Krankschreibung korrekt war. Das Leiden des Betroffenen darf er dem Unternehmen nicht mitteilen. Übrigens ist es dem Arbeitgebenden durchaus gestattet, seine Mitarbeitenden nach der Krankheit zu fragen. Doch die sind nicht verpflichtet, darauf zu antworten. Schließlich gibt es durchaus Krankheiten, die so persönlicher Natur sind, dass man sie mit niemand anderem als dem Arzt besprechen will. Da ist das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen sehr viel höher zu bewerten als das Recht auf Information für den Arbeitgeber.

Keine Blumen von Elon Musk

Schon das Verhalten kleiner oder mittelständischer Unternehmer auf dem Land ist schon manchmal fragwürdig bis übergriffig. Allerdings ist es dort auch Teil der dörflichen Sozialkontrolle, dem Gegenstück der Anonymität der Großstadt. Elon Musk ist weder der Dirigent des Männergesangvereins „Harmonie“ noch der Trainer von Turbine Fangschleuse. Schon gar nicht hat er irgendwo bei einem Kranken in der Mark Brandenburg mit einem Blumenstrauß am Krankenbett gestanden. Das erklärt dann wohl auch, warum die Krankgeschriebenen so unwirsch auf die Besuche ihrer Vorgesetzten reagiert haben.

Peter S. Kaspar