Tod in den Alpen

Flugzeugabsturz

Es ist der Vormittag des 24. März 2015. 11.000 Meter über Südfrankreich meldet sich der Flug Germanwings 9525 bei der Flugverkehrskontrolle in Marseilles zum Wegpunkt IRMAR ab. Das ist das letzte Lebenszeichen des Airbus A320. Elf Minuten später zerschellt die Maschine an einem Berg in den französische Alpen. Alle 150 Menschen an Bord finden den Tod. Es ist das schlimmste Unglück für die Lufthansa-Group, zu der Germanwings damals gehörte, und eine der schlimmsten Flugzeugkatastrophen in der französischen Geschichte. Schon nach wenigen Tagen wird klar: Es war kein technischer Defekt und kein terroristischer Anschlag, der den Airbus zum Absturz gebracht hatte. Auch kein menschlicher Fehler im Sinne einer falschen Einschätzung oder Bedienung führte zu der Katastrophe. Es war vielmehr der minutiös geplante Selbstmord des Co-Piloten Andreas L.

Psychische Gefährdungsbeurteilungen seit 2013 ein Muss

Zwei Jahre zuvor war in Deutschland die psychische Gefährdungsbeurteilung für Unternehmen zur Pflicht geworden. Die Katastrophe in den Alpen zeigte beklemmend auf, zu was eine zerrüttete Seele führen kann. Fast zwangsläufig führte das Unglück auch zu einer Diskussion über den Sinn einer solchen Verordnung, wenn es möglich war, dass ausgerechnet in einem deutschen Unternehmen ein Flugzeugführer in einem offenbar psychotischem Zustand und in suizidaler Absicht 149 Menschen mit in den Tod reißt. Was in der Debatte allerdings weitgehend unterschlagen wurde: Sinn der psychologischen Gefährdungsbeurteilung ist es, das Arbeitsumfeld von Beschäftigten so zu gestalten, dass es nicht zu psychischen Beeinträchtigungen durch die Arbeit kommt. Tatsächlich wurde die Lufthansa als Muttergesellschaft der Germanwings in der Folge von jeglicher Verantwortung für den Absturz freigesprochen. Trotzdem warfen die Untersuchungen zahlreiche Fragen auf, die am Ende ein scheinbar unüberwindliches Dilemma zwischen psychischer Gefährdungslage und Schutz der Persönlichkeit offenbarten.

40 Ärzte schwiegen

Die Untersuchungen ergaben eine erschreckende Vorgeschichte des Co-Piloten. Der hatte einst seine Piloten-Ausbildung an der lufthansaeigenen Schule in Bremen nach kurzer Zeit abgebrochen. Grund waren Depressionen und Selbstmordgedanken. Nach einem knappen Jahr beendete er seine Ausbildung in den USA – danach heuerte er bei Germanwings an. Bei keinen Untersuchungen zeigten sich Auffälligkeiten, die ihn am Fliegen gehindert hätten. Tatsächlich litt er weiterhin an Depressionen. Insgesamt konsultierte er in dieser Zeit 40 Ärzte. Unter anderem fürchtete Andreas L. sein Augenlicht und damit seinen Job zu verlieren. Doch auch alle Augenärzte bescheinigten ihm ein ausgezeichnetes Sehvermögen. L. glaubte ihnen nicht und geriet immer tiefer in Depressionen. Unmittelbar vor dem verhängnisvollen Flug hatte ihn ein Arzt für diesen Tag krankgeschrieben. Die zerrissene Krankschreibung fand sich später bei einer Hausdurchsuchung wieder.

Vorsorge Fahren G 25

Absturztest vor dem Hinflug

Pilotensuizide sind ausgesprochen selten. Offiziell sind in der kommerziellen Luftfahrt seit 1982 gerade mal neun verzeichnet, bei denen 562 Passagiere ums Leben kamen. Nicht in der Statistik aufgeführt ist der Air-Malaysia-Flug 370, dessen mysteriöses Verschwinden ein Jahr vor der Katastrophe in den Alpen, möglicherweise ebenfalls auf einen Pilotensuizid zurückzuführen ist. Trotzdem wurde der Germanwings-Absturz ganz besonders diskutiert. Ls. Ärzte schrieben ihn mehrfach krank, verschrieben ihm Antidepressiva und kaum einer hätte ihn als flugtauglich betrachtet. Doch keiner warnte die Lufthansa. Der Grund ist einfach: Die ärztliche Schweigepflicht. Jeder Arzt, der etwas über Ls. Zustand weiter getragen hätte, hätte sich strafbar gemacht – und hätte möglicherweise seine Zulassung verloren. Bei den notwendigen Eignungsuntersuchungen dagegen hatte L. seinen wahren Zustand stets verschleiern können. Ls. Probleme waren für die Betriebsärzte der Lufthansa schlicht nicht erkennbar. Doch genau darin sehen Flugsicherheitsexperten ein großes Problem. Die amerikanische Verkehrssicherheitsbehörde NTSB warf die Frage auf, warum in Deutschland das individuelle Recht auf Verschwiegenheit höher bewertet werde, als die Sicherheit für viele. Vorsichtiger äußern sich die deutschen Kollegen, die sehr wohl wissen, warum das Thema Verschwiegenheit und Datenschutz viel sensibler ist als in den Staaten. Trotzdem mahnen auch sie eine Lösung an. Eines steht nämlich außer Zweifel: ein Mitarbeiter mit psychischen Problem kann in jedem Unternehmen seinerseits zu einem psychischen Problem für andere werden. Wie eine Lösung dieses Dilemmas allerdings aussehen kann, weiß niemand. Immerhin eine Änderung hat die Katastrophe mit sich gebracht. Seither darf sich in einem Cockpit einer Maschine der Lufthansa während des Fluges keine Person mehr alleine aufhalten.

Peter S. Kaspar

Bildquelle: iStock

Wenn Sie oder jemand, den Sie kennen, in einer Krise ist oder Suizidgedanken hat, suchen Sie bitte Hilfe. Es gibt Unterstützung und es ist wichtig, nicht allein zu bleiben.
Telefonseelsorge Deutschland: 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 (kostenlos, 24/7 erreichbar)
Online-Beratung: www.telefonseelsorge.de

Flugzeugabsturz
Kündigung im Briefkasten gilt als zugestellt