Wem das Gewissen schlägt
Ein wichtiger Aspekt des Hinweisgeberschutzgesetzes ist es, möglichen Whistleblowern die Angst vor betriebsinternen Repressalien zu nehmen. Was das Gesetz dagegen nicht kann, ist den persönlichen Konflikt eines Hinweisgebers aufzulösen. Immerhin bewegt sich der Whistleblower in der Wahrnehmung seiner Mitmenschen irgendwo zwischen Verräter und Held. Auch wenn durch das Gesetz ein einigermaßen niedrigschwelliger Zugang zu Meldestellen geschaffen wurde, die den Hinweisen nachgehen, erfordert es noch immer einen gewissen Mut und Charakterstärke, um den Weg zur Compliance-Abteilung zu gehen. So ist es oft nicht mal eine rechtliche, sondern eine psychologische Frage, ob jemand einen entscheidenden Hinweis gibt. DOKTUS hat bei einer psychologischen Psychotherapeutin nachgefragt, wie ein potentieller Hinweisgeber mit seinem Gewissenskonflikt umgehen kann.
Kann die Gruppe helfen?
Wenn es um allgemeine Verhaltensvorschläge geht, ist die Therapeutin vorsichtig: „Jeder Fall ist anders und jede Person ist anders“. Aber sie zeigt auch auf, dass die Kraft in der Gruppe liegen kann. Wenn etwa in einer Abteilung mit zehn Leuten jede Woche 100 Blatt Kopierpapier verschwinde, weil einer einmal damit angefangen habe, könne man das sicher bei einem Kaffee in der Gruppe besprechen. Die Gruppe selbst kann einem auch Halt und Unterstützung bieten, wenn es um größere Dinge geht. Voraussetzung ist allerdings, dass man die Gruppe, in der man agiert, gut einschätzen kann. In einer eher typischen Konstellation sind zwei dem Chef gegenüber bedingungslos loyal, zwei grundsätzlich und aus Prinzip dagegen und der Rest schart sich hinter die stärksten in der Gruppe. Etwaige ethische oder moralische Bedenken spielen dabei keine Rolle. Die Therapeutin meint übrigens auch, dass die meisten Hinweisgeber eben aus jener Gruppe kommen. „Wer dem Chef ergeben ist, wird keine Hinweise gegen ihn weitergeben und wer grundsätzlich gegen alles ist, misstraut ja auch dem System und wird andere Weg suche, um seinen Protest auszudrücken“, erklärt die Therapeutin.
Kann der Zwiespalt krank machen?
Je größer die Diskrepanz zwischen dem eigenen moralischen Anspruch und dem Delikt ist, desto höher ist zwar die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Betroffene an eine Meldestelle wendet, desto größer kann allerdings auch sein Stress werden. Hier weist die Therapeutin auf einen wichtigen und häufig unterschätzten Aspekt hin. Solch ein Stress kann auch krank machen. Wer dauernd hin und her gerissen ist zwischen der Frage, ob er den dringenden Hinweis geben soll oder sich doch lieber nicht der Gefahr aussetzen will, von den Kollegen als Denunziant bezeichnet zu werden, den könnten zum Beispiel bald Angstzustände heimsuchen. Auch Depressionen können die Folge sein – kurz um alles, was die Seele durcheinanderbringt.
Wer kann in einem Zwiespalt helfen?
Oft im Leben hilft ja einfach reden, wenn ein Problem gelöst werden soll. Bisweilen ist es gar nicht der Rat eines anderen, sondern lediglich das Gespräch, das am Ende nur das freilegt, was im Grunde sowieso schon entschieden war. Für einen Whistleblower, der in aller Regel ja anonym bleiben will, ist das eine schwierige Situation. Rein theoretisch könnte er sich ja zum Beispiel an eine Vertrauensperson im Betriebsrat oder bei der Gewerkschaft wenden. Dabei gilt es jedoch zu bedenken, dass es hier durchaus eigene Interessen geben kann. Wer sich durch seinen Gewissenskonflikt gesundheitlich angegriffen fühlt, der hat natürlich noch einen anderen garantiert verschwiegenen Gesprächspartner, nämlich die Betriebsärztin oder den Betriebsarzt. Diese Personengruppe unterliegt nämlich der ärztlichen Schweigepflicht.
Was können Unternehmen tun, damit es nicht zu einem Gewissenskonflikt kommt?
Da das Hinweisgeberschutzgesetz auch ein Gesetz zum Schutz von Unternehmen ist, sollten Betriebe nicht nur ein Meldesystem installieren und Compliance-Regeln aufstellen, es muss auch klar werden, dass Hinweise auf Unregelmäßigkeiten nichts mit Denunziation zu tun haben, sondern, im Gegenteil den Mitarbeitenden und dem Unternehmen weiterhelfen. Bei der Auswahl von Führungspersonal sollte zudem nicht nur auf Führungsstärke, sondern auch auf persönliche Integrität geachtet werden. Nicht nur aus Sicht des Hinweisgeberschutzgesetzes, sondern auch im Hinblick auf die Arbeitssicherheit ist ein gutes Betriebsklima, im dem das Compliance-Wesen funktioniert, ein ganz entscheidender Faktor.Peter S. Kaspar